A Closer Look
“Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach”, wie Oscar Wilde wusste. Sie kann sogar ziemlich kompliziert und verdorben sein, wie Jeder weiß, der je verliebt, verfeindet oder verwirrt war. Ein Paradebeispiel dafür ist Kim Sanders: „Mein einziges Gimmick ist die Wahrheit“, sagt die Singer-Songwriterin, die im amerikanischen Bundesstaat Indiana geboren wurde und seit einiger Zeit in Berlin zuhause ist.
Mutig aber wahr: Kim Sanders hat eine reine, klare Stimme, deren gefühlvolle Kraft direkt in die Seele ihrer Songs vorzudringen scheint. Die Geschichten, die Kim Sanders in ihrer Musik erzählt, sind die Essenz dieser Seele, wenn man so will. Entsprechend umfassend behandeln und enthüllen sie Schmerz oder Freude, Glaube, Liebe und Leidenschaft. Schon in den ersten Takten ihres neuen Albums „A Closer Look“, präsentiert sich Kim Sanders als fantastische, selbstbewusste, ehrliche und sagenhaft sinnliche Musikerin, Komponistin und Interpretin, eine moderne Protagonistin des „Electronic Soul“, wie sie ihre Musik gern nennt.
Die vierzehn Songs dieses sensationellen Albums halten jedes Versprechen, das ihre erfolgreichen Gastauftritte mit Stars wie Schiller, Nicola Conte oder Till Brönner je gemacht haben. Die Bandbreite von Kim Sanders neuem und faszinierend originellem Material reicht dabei von den Tiefen einer Jazzballade wie „Yellow Mondays“ bis zum himmelschreienden Funk-Rock von „Vanilla“, über einen Breakbeat-Bossa wie „In Between“, den „instant dance classic“ „What Love Would Do“ oder den intensiven, immer kurz vor stürmischen Skorpion-Soul von „Come Over“ oder „Take Me“. Um dieses Album zu einer echten und zusammenhängenden Einheit zu machen, zu eben dem herzlichen Kunstwerk, dass es nun einmal ist, holte sich Kim Sanders ein veritables Produzenten-Dream-Team ins Studio: Roberto di Gioia, der Keyboard-Virtuose der schon mit Passport, The Notwist, Wolfgang Haffner, Wigald Boning, Max Herre und seinem eigenen Marsmobil begeisterte, und Christian Prommer von “Fauna Flash” oder “Trüby Trio”, dessen Album “Drum Lessons” neulich erst House-Hits in Jazz-Jams verwandelte.
Hand in Hand (und manchmal Zahn um Zahn), produzierte diese heilige Dreifaltigkeit, immer angeführt von ihrer Stimm- und Song-Göttin, ein Album voller herrlichem, elegantem und mitreißendem „Electronic Soul“, prallvoll mit aufrichtigen Emotionen und wegweisender Hingabe, so lustig und mutig, wie es umfassend und ansteckend ist. Der Albumtitel passt perfekt: „A Closer Look.“
„Liebe braucht ein Upgrade“, sagt Kim Sanders, barfuss und im Schneidersitz auf dem Parkettboden ihres Appartements in Schöneberg sitzend, bei Tee und selbst gebackenen Brownies. „In der Liebe geht es um Aktivität und Beziehung – und alles, was damit zu tun hat, ist deshalb immer ein „work in progress, sozusagen im „Entwicklungsstadium“. Singen ist mein Stück Göttlichkeit. Ich liebe es, auf der Bühne zu sein und ich wache jeden Morgen mit dem Gefühl auf, dass ich genau das und nichts anderes tun will. Ich bin überzeugt davon, dass man diese Intensität auch auf einer romantischen Ebene erreichen kann, indem man bereit und willens ist, die Arbeit, die eine Beziehung mit sich bringt, zu tun – und vor allem, indem man seine Wahrheit lebt.“
Sie hält kurz an und fragt schüchtern: „Hab ich schon wieder gepredigt?“ Statt die Antwort abzuwarten, lacht sie so herzhaft, dass die Wände beben. „Ich habe vor einigen Jahren angefangen, die Wahrheit zu sagen“, ergänzt sie, als ihr Lachen sich langsam zu einem Lächeln legt. „Aber man muss sehr vorsichtig sein, welche Wahrheit man wem und wann sagt. Und man muss sich immer wieder selbst den Spiegel vorhalten.
Man muss dafür weit möglichst die äußeren Einflüsse ausblenden und jenseits seiner Instinkte gehen. Wir machen so viele unsinnige Phasen durch, bis wir endlich herausfinden wer wir sind und was wir wirklich wollen – es ist ja nicht einfach damit getan, dass man sich verliebt … man braucht mindestens so viel Aufwand und Energie, um sich die Liebe zu erhalten. Also muss man lieben und weiterlieben.“ Kim Sanders ist eben nicht nur eine sensationelle Sängerin, eine international renommierte Live-Performerin und eine einfühlsame und sehr bedachte „Songgeschichten-Erzählerin“, sondern vor allem auch eine Sinnsucherin.
Sie denkt sehr viel nach, über die Liebe, das Leben, die Menschheit, unsere Spiritualität. Zum Glück – für uns und für sie – kommen diese Gedanken und Ideen nach reiflicher Überlegung und sorgfältiger Instrumentierung als Songs zu uns, nie zuvor so gelungen und faszinierend wie auf diesem Album, ihrer neusten, wahrscheinlich ehrlichsten und sicherlich besten Solo-Veröffentlichung. Das Album beginnt mit der tiefen und düsteren Basslinie von „Aphrodite“, einer offenen Ode an die Göttin der Liebe, von Frau zu Frau und Hals über Kopf, die Kim nach der Lektüre des Buches „Mutter Gott“ von Sylvia Brown geschrieben hat.
Die Musik fließt immer weiter, über den erfrischenden Retro-Electro-Groove von „Girl of Mystery“ und die beinahe mystischen Harmonien und „organisch-technoiden“ Blips und Blops auf „The Moment“, textlich inspiriert von Eckhart Tolles Buch „Jetzt!“ („The Power Of Now“). „Somebody Said“ funkelt wie eine perfekt polierte Uptempo-Soul-Perle, „Wearing Wings On My House“ und „Ladies Man“ sind bizarre Grooves, die mit ebenso viel Funk wie Attitüde daherkommen. Man kann noch so viel mehr entdecken, wenn man wirklich hinhört und dieses nähere Hinschauen, den „Closer Look“, riskiert.
Was immer man dabei findet, man kann sicher sein, dass es die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist. Wer das nicht glaubt, sei an Oscar Wilde erinnert. Oder an seinen Kollegen Mark Twain, der einmal schrieb: “Die Wahrheit ist mächtig und sie wird immer überdauern. Daran ist nichts auszusetzen, außer, dass es nicht stimmt.” Am besten bleibt man aber gleich beim Thema, bei Kim Sanders. Schließlich findet sich auf diesem Album noch ihr verdammt verführerischer Song namens “Truth Is”, in dem sie diese Zeile so überzeugend singt und fühlt: “The truth is, I’m gonna lie.” – „Die Wahrheit ist, dass ich lügen werde.“ Ehrlicher, reiner und einfacher geht es nicht.
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